Pizzeria Anarchia Wien
Die Anfänge:
Die Pizzeria Anarchia ist ein Hausprojekt in der Mühlfeldgasse 12 in Wien, das seit
Ende November 2011 besteht, und das nun akut räumungsbedroht ist. Die Eigentümer
des Hauses, Avner Motaev und Nery Alaev von der Castella GmbH, boten anfangs eine
zeitlich befristete, unentgeltliche Nutzung vorerst bis März, dann bis Juni 2012 an. Zwar
sprachen sie von sozialer Motivation. Da sich in dem Haus aber noch mehrere
Altmieter_innen befanden, war ihre eigentliche (und inzwischen vor Gericht
zugegebene) Intention die angestammten Bewohner_innen zu vertreiben, bald
offensichtlich. Denn diese waren mit rechtlichen Mitteln schwer herauszubekommen,
und ließen sich auch nicht durch Einschüchterung und Sabotage am Haus zum Auszug
bewegen.
Trotz dieser äußerst widersprüchlichen Ausgangslage entschieden wir uns, das Wagnis
einzugehen. Wir wollten versuchen die Altmieter_innen zu schützen und gemeinsam
gegen die Machenschaften der Eigentümer vorgehen. Gleichzeitig war klar, dass die
meisten von uns am Ende der legalen Zeit nicht gehen wollen. So platzierten wir uns
mitten auf einer der vielen Fronten, an denen Gentrifizierung passiert, im vollen
Bewusstsein, dass die Eigentümer uns für ihre Profitinteressen einspannen wollten. Es
war von Beginn an unsere Absicht, den “Spieß” umzudrehen. Mitten im unter starkem
Gentrifizierungsdruck stehenden 2. Bezirk, konnten wir so einen Anker setzen, um im
voranschreitenden Verdrängungsprozess zu intervenieren.
Viele von uns waren zu diesem Zeitpunkt wohnungslos, und so war der Schritt auch eine
Möglichkeit der Selbstemanzipation vom Zwang, Miete zu zahlen, ohne sich von den
dürftigen Almosen-Einrichtungen von Staat und Kirche abhängig zu machen, die
ohnehin nur Menschen mit dem “richtigen” Pass offen stehen. Die Anfangszeit war nicht
einfach, viele Leute die sich großteils vorher nicht kannten wurden zusammengewürfelt,
und es dauerte ein paar Monate, bis sich ein funktionierendes Kollektiv herausbildete.
Als offenes Kollektiv versuchen wir einen freien, sozialen und kulturellen Ort zu
schaffen, in welchem verschiedene Arten von Veranstaltungen und offenen Diskussionen
stattfinden können.
Aktivitäten:
Seit Ende Februar 2012 gibt es jeden Sonntag eine Volxküche mit Pizza aus unserem
Steinofen, hergestellt durch alle, die Lust haben mitzumachen oder Zutaten
mitzubringen. Essen und Getränke gibt es immer gegen freie Spende, wobei uns wichtig
ist, dass auch Menschen die kein Geld haben nicht ausgeschlossen werden. Wenig später
etablierten sich die “Filme unter der Hand” jeden Dienstag, bevorzugt werden politische
Filme, Dokus und Raritäten gezeigt. Es gibt einen Kost-Nix-Laden mit Klamotten und
anderen nützlichen Dingen und einen Info-Laden mit einer kleinen Bibliothek. Um diese
auch an weiteren Tagen zugänglich zu machen, ist die Pizzeria seit ein paar Monaten
auch immer Freitag nachmittags geöffnet. Seit September 2012 finden mehr oder
weniger regelmäßig Diskussionen oder Infoveranstaltungen an den Pizza-Sonntagen
statt. Während die Tage wärmer und länger werden, nehmen wir uns mehr Platz vor dem
Haus, zum Beispiel mit Frühstück auf dem Gehweg, und unser tägliches Leben
integriert sich mehr in unsere Umgebung. Am 1. Mai 2012 und 2013 organisierten die
Bewohner_innen, andere Nutzer_innen und Freund_innen ein großes Straßenfest mit
dem Namen „Was ihr wollt…“. Auch 2014 ist eine Fortsetzung geplant. Seit dem
Sommer gibt es monatliche Demos unter dem Motto “Die Scheiß-Miete ist zu hoch!”,
bei denen auch immer wieder andere Themen wie Kritik an Rassismus oder der
Gefängnisgesellschaft behandelt wurden.
Mit Ende der Vertragslaufzeit wurde eine Kampagne gestartet, bei der die Methoden der
Eigentümer offen gelegt wurden. Wir veröffentlichten einen eigenen Beitrag im
Augustin, einer von meist wohnungslosen Menschen verkauften Straßenzeitung, und
luden ausgesuchte Journalist_innen zu uns ein, um die Situation zu erklären. Die
Zusammenarbeit mit Mainstream-Medien ist immer eine heikle Sache, zu diesem
Zeitpunkt schien uns aber eine gewisse Öffentlichkeit zum Schutz vor Übergriffen
angebracht, außerdem war das Thema Verdrängung durch „Aufwertung“ in Wien bisher
kaum diskutiert worden.
Die Machenschaften der Castella GmbH:
Was wir inzwischen über die Methoden von Motaev und Alaev in diesem und anderen
Häusern herausgefunden hatten, würde genügend Stoff liefern für ein kleines HowTo-
Handbuch für Immobilienspekulation: Mitten im Winter die Fenster am Gang ersatzlos
ausbauen lassen; das Gas oder auch das Wasser abdrehen; regelmäßige Besuche zu
späten Abendstunden, teils durch die Eigentümer selbst, teils durch Handlanger, die
gleich einen Kampfhund mitbringen; Hereindrängen in Wohnungen und die
Aufforderung, sofort den Schlüssel abzugeben; Öl und Buttersäure, manchmal auch
einfach nur Müll in Gang und Treppenhaus; immer wieder die Drohung, das Haus würde
sehr bald zusammenbrechen; Kanalisation verstopfen, so dass das Abwasser im Hof
steht; Beschmierungen genau an den Wohnungstüren der Mietparteien, die nicht über
einen Auszug mit den Eigentümern verhandeln wollen; Beschattung von Mieter_innen
durch Privatdetektive; Kündigungsklagen mit abstrusen Begründungen, bei denen die
meist weniger rechtskundigen und weniger finanzstarken Mieter_innen ihre Unschuld
beweisen müssen; Drohung mit Anzeigen nach dem Mafiaparagraphen usw.
Die Eigentümer der Pizzeria kaufen ausschließlich Häuser, in denen noch wenige
Menschen mit meist unbefristeten und billigen Mietverträgen wohnen. Diese sind relativ
gesehen billig, weil sich andere Eigentümer vorher meist schon die Zähne an ihnen
ausgebissen haben. Motaev und Alaev sind mit ihren mindestens acht verschiedenen
GmbHs auf die “Bestandsfreimachung” spezialisiert, sie kümmern sich um die letzten
Schritte der Entmietung und verkaufen die Wohnungen dann einzeln, meist als
Eigentumswohnungen. Ein Geschäftsmodell, das hohe Profite verspricht, wenn es
funktioniert. Auf unsere Kampagne folgte eine ganze Reihe an Artikeln zum Haus in der
Mühlfeldgasse und zur Castella GmbH sowie weiteren Firmen von Motaev und Alaev.
Wir sollen gehen…
Am 2. August 2012 schließlich versuchten die beiden mit Hilfe von etwa einem Dutzend
Bauarbeitern, zwei Privatdetektiven und einem Schlosser, die vom Pizzeria-Kollektiv
genutzten Räumlichkeiten zu räumen und den Eingang der Pizzeria zu zu mauern.
Unterstützer_innen wurden mobilsiert, es gab ein ewiges hin und her, bei dem mehrfach
brutale Gewalt seitens der Eigentümer und ihrer Handlanger angewendet wurde. Nach
über zwölf Stunden gaben sie jedoch auf. Für eine Weile danach gab es noch mehrfach
Sabotagen an der Stromanlage, zweimal wurde auch wieder versucht, Schlösser
auszutauschen, doch dann kehrte vorerst Ruhe ein.
Auf diesen Räumungsversuch folgte wieder einiges an für die Eigentümer negativer
Presse, und wenig später wurden alle Räumungsklagen gegen Altmieter_innen in
Häusern von Motaev und Alaev zurückgezogen. Ein Teilerfolg, wobei sich zeigen wird,
von welcher Dauer. Nun wurde allerdings die Auseinandersetzung mit dem Pizzeria-
Kollektiv vor Gericht getragen. Scheinbar wollten sie erstmal die größten Störenfriede
los werden, bevor sie mit der Verdrängung der Altmierer_innen möglichst unbeobachtet
weitermachen können. Mehrfach wurde eine Vertagung erreicht und der Prozess zögerte
sich hinnaus. Ende Januar 2013 war allerdings der letzte Termin, wobei der Richter
anbot, sich in einem gerichtlichen Vergleich bei gegenseitigem Forderungsverzicht über
ein Auszugsdatum zu einigen und gab dafür einen Monat Zeit.
Inzwischen ist ein schriftliches Urteil eingelangt, dass den Eigentümern Recht gibt.
Zwar gehen wir noch mal in Berufung, sind uns aber bewusst, dass eine baldige
Abweisung sehr wahrscheinlich ist. Danach werden die Eigentümer wohl relativ schnell
einen Räumungsbescheid bekommen. Konkret kann das eine Räumung ab Mitte Juni
2013 bedeuten.
…aber wir bleiben!
Wir haben uns dagegen entschieden, mit den Eigentümern eine Einigung zu suchen, da
wir mit diesen Leuten keine Abkommen mehr treffen wollen. Stattdessen werden wir im
Haus bleiben, bis die Staaatsgewalt kommt, um das Eigentumsrecht durchzusetzen und
uns mit Gewalt hinaus zu befördern. Wir freuen uns dabei über jede Gesellschaft,
Besuche und Unterstützung und werden natürlich versuchen, die Räumung scheitern zu
lassen. Dafür wird Hilfe von außen bitter nötig sein.
Haltet euch und andere auf dem Laufenden, nehmt mit uns Kontakt auf, organisiert Soli-
Aktionen, kommt vorbei, und vor allem:
Kommt alle zur Räumung am Tag X!
Wir bleiben alle!
Kontakt:
pizza.noblogs.org
muehlfeldgasse12@riseup.net
Mühlfeldgasse 12 / 1020 Wien
+43 680 24 23 453